„Die Gesetze sind nicht der Hit.“
Fachkräfteallianz Mittelsachsen thematisiert unter Federführung des GIZEF und der AOK PLUS Vereinbarkeit von Pflege und Beruf

Die innerfamiliäre Pflege von Angehörigen bringt verschiedene Belastungen mit sich: psychischer Druck, physische Anstrengungen, hoher Zeitaufwand. Doch was tun, wenn die Pflege zum Fulltimejob wird und sich nicht mehr mit dem eigenen Berufsleben unter einen Hut bekommen lässt? Spricht man offen mit dem Arbeitgeber, wer kann Hilfestellung leisten, wie ist die Gesetzeslage? Diesen und weiteren Fragen ging die Veranstaltung „Vereinbarkeit von Pflege und Beruf“ am 07. Februar 2018 in Waldheim nach.

„Es war mutig mich anzusprechen“, sagt Prof. Detlef Müller, CEO der IMM electronics GmbH aus Mittweida. Denn er ist in zweierlei Mission zu dieser Veranstaltung gekommen. Zum einen ist er Unternehmer, zum anderen ist er selbst in der Situation, die Pflege seiner Eltern und seinen Berufsalltag zu bewältigen. Und er gibt zu, dass diese eigenen Erfahrungen nun einen ganz anderen Blick auf die bisher wenig beachtete Thematik gebracht haben. Wenig beachtet auch deshalb, weil Unternehmen bisher kaum mit diesbezüglichen Ansprüchen ihrer Mitarbeiter konfrontiert werden. Per heute gibt es zwar mindestens drei gesetzliche Grundlagen, die Beschäftigten die Pflegemöglichkeiten von nahen Angehörigen sichern, aber oft genutzt wird es nicht.

Drei Gesetze: Pflegezeitgesetz, Familienpflegezeitgesetz, Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Pflege und Beruf. 

Ein Grund dafür ist wohl in den Gesetzen selbst zu suchen. Praktisch geben das Pflegezeitgesetz, das Familienpflegezeitgesetz und das Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Pflege und Beruf diverse Möglichkeiten für Arbeitnehmer, Pflegezeiten in Anspruch zu nehmen. Doch eine Lohnfortzahlung erfolgt nicht, im besten Falle erhält der Arbeitnehmer Pflegeunterstützungsgeld als Lohnersatzleistung. Zudem sind Pflegezeiten von bis zu sechs Monaten (nach Pflegezeitgesetz §3 Abs.1 S.1) erst bei Unternehmen von mindestens 16 Beschäftigten rechtlich durchsetzbar. Wer bis zu zwei Jahre Familienpflege (§2 Abs. 1 S. 4 FPfZG) beanspruchen will, muss in einem Unternehmen mit mindestens 26 Beschäftigten tätig sein. Eine Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber gibt es in beiden Fällen nicht, auch Lohnausgleichszahlungen sieht das Gesetz hier nicht vor. Allerdings unterliegen die in Pflegezeit befindlichen Arbeitnehmer bis zur Wiederaufnahme der beruflichen Tätigkeit einem besonderen Kündigungsschutz. 

Gesetze regeln grundsätzlich die häusliche Pflege naher Angehöriger ohne Job-Verlust.

„Die Gesetze sind nicht der Hit“, sagt Bianca Fijas-Seger, Fachanwältin für Arbeitsrecht. Zwar gebe es ein zinsloses Darlehen des Bundesamtes für zivilrechtliche Aufgaben für die betroffenen Arbeitnehmer, aber es stelle sich hier die Frage, wie man dies überhaupt zurückzahlen solle. Zudem greifen die Gesetze durch die Mindestbeschäftigtenzahlen in den meisten Fällen auch nicht. Für Unternehmer Detlef Müller ist das jedoch kein Problem. „Wir müssen uns von dem Gedanken lösen, alles regulieren zu können. Wir müssen so viel Flexibilität entwickeln, dass wir auf Veränderungen reagieren können.“, so Müller. 

Man kann nicht alles regulieren, Unternehmen müssen auf Veränderungen reagieren.

In seinem Unternehmen sei er dieses Thema bereits angegangen. Hier wurden im Rahmen einer mitarbeiter- und familienfreundlichen Unternehmensstruktur beispielsweise Beratungen zum Thema „Prävention und Pflege“ angeboten. Denn „auf den Fachkräftemangel kommt jetzt noch das Thema Pflege oben drauf“, sagt Müller weiter. Hier sieht Jens Burow, Agentur für Arbeit Freiberg, auch neue Anforderungen auf Führungskräfte und Teamleiter zukommen: „Jede Führungskraft muss sich Zeit nehmen und auch über das Thema Pflege sprechen. Man muss wissen, was macht der Mitarbeiter, welche Bedürfnisse und welche Hemmnisse hat er.“ 

Pflegeproblematik in der Realität ist oft mit Tabus und Krankenscheinen verbunden.

Dennoch sei Pflege ein Tabuthema, was Mitarbeiter selten ihren Arbeitgebern und Vorgesetzten kommunizieren. Und das obwohl, so Claudia Schöne, Bereichsleiterin Pflege der AOK PLUS, 70 Prozent der zu pflegenden Menschen in kompletter Familienpflege betreut werden. Sie sagt, „ohne Angehörige funktioniert das gesamte System nicht.“ Und im Grunde liegt hier das Dilemma, dass aus den Erfahrungen von Christiane Babatz, Geschäftsführerin der DBL Steyer Textilservice GmbH Freiberg, Arbeitnehmer – aus ihrer Sicht auch verständlicherweise – bisher nicht auf die Pflegegesetze zurückgreifen. „Bei Kindkrank gibt es klare und transparente Regelungen. In akuten Fällen bezüglich Pflege greifen Arbeitnehmer aus ihrer Erfahrung aber eher auf eine Krankschreibung zurück“, so Babatz. Verträglicher seien hier auch Teilzeitregelungen. 

Ausfälle von Arbeitnehmern sind für viele Branchen eine besondere Herausforderung, die schwer zu lösen ist.

Für Unternehmen stellt die Inanspruchnahme von Pflegezeit oder diesbezüglicher Krankschreibungen je nach Branche eine besondere Herausforderung dar. Ersatzfachkräfte zu finden ist mittlerweile eine schwierige Aufgabe und in einigen Branchen nahezu unmöglich. Hier sehe sich auch die Agentur für Arbeit in der Pflicht, Unternehmen, soweit es bei der angespannten Arbeitskräftelage möglich ist, zu unterstützen, so Jens Burow. Als Unternehmen weitere Ansprechpartner zu finden ist indes auf den ersten Blick ebenfalls schwierig. Hier wurde der Fachkräfteallianz eine Hausaufgabe auf den Weg gegeben, einen Pflegeatlas für Arbeitgeber zu entwickeln. Dieser sollte die Gesamtproblematik mit dem Blickwinkel für Unternehmen aufzeigen.

Es gibt zwar keine Pauschallösungen, aber der Dialog zwischen allen Seiten ist ein entscheidender Schritt.

Pflege sei immer eine Einzelfallbetrachtung. Dies gelte für Unternehmen wie Betroffene und ebenso für Dienstleister und Krankenkassen. Es gebe keine Pauschallösung. Man müsse miteinander sprechen und auf eine einvernehmliche Einigung setzen, so der Grundtenor in der Veranstaltung. Es gehe um Lösungen für alle Seiten, ob mit gesetzlichen Durchsetzungsmöglichkeiten oder nicht.

Redaktion und Fotos: MIKOMI

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Vereinbarkeit von Pflege und Beruf

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Diese Maßnahme wird mitfinanziert durch Steuermittel auf Grundlage des von den Abgeordneten des Sächsischen Landtags beschlossenen Haushaltes.

Mit fachlicher Unterstützung der AOK PLUS – Die Gesundheitskasse für Sachsen und Thüringen.