"Ich blühe in Katastrophensituationen eher auf, als das ich wegrenne."
M. Andreas Polster zur Notwendigkeit von Konfliktgesprächen
M. Andreas Polster ist seit 25 Jahren erfolgreicher Trainer, Coach und Berater. Als Geschäftsführer des iapo - Institut für innovative Arbeitsgestaltung, Praxisberatung und Organisationsentwicklung ist er auf die Professionalisierung unternehmensinterner Kompetenzen für Veränderungs- und Verbesserungsprozesse spezialisiert. Bereits 2018 sprach er über dieses immer noch aktuelle Thema mit Lutz Schäfer. Es ging um Konflikttoleranz, die Angst vor der Angst, die Einsicht, dass "unter den Teppich kehren" nichts bringt, und seine besondere Fähigkeit, immer das Gute im Menschen zu sehen. Hören Sie jetzt den Podcast oder lesen Sie das Interview nachfolgend.
Jeder kennt die reinigende Wirkung eines (Konflikt-)Gewitters auch in Arbeitsbeziehungen. Dennoch bleiben in Unternehmen und Verwaltungen viele Sachverhalte aufgrund vermeintlicher Konfliktgefahr unausgesprochen. Das kostet Zeit sowie Nerven und lähmt zudem die Kreativität und die Leistungskraft aller Beteiligten.
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M. Andreas Polster im Interview zum Thema Konfliktgespräche
Lutz Schäfer (LS): Ich bin bei meinen Recherchen auf die Aussage gestoßen, dass Du ein Verfechter bist, kreativ problemlösend zu arbeiten. Ist das so? Was versteht man darunter?
M. Andreas Polster (MAP): Kreativ problemlösend, das klingt natürlich jetzt auch so ein bisschen gekünstelt. Es gibt ja immer die Frage: „Was hilft uns weiter?“ Dann kann man in die Vergangenheit schauen und das nehmen, was sich bewährt hat. Nun ist die Frage, hilft es noch weiter, was früher geholfen hat? Das ist oftmals die Krux, dass wir eigentlich nach vorne schauen und probieren müssten, was uns als neue Lösung einfällt.
Ja, und dann muss man mitunter umdenken und Barrieren überwinden, die sonst im Denken sind. Das ist dann einfach kreativ oder problemlösend.
LS: Da sind wir ja schon mitten beim Thema Konflikte, wo es oft um Probleme geht. Und eine Aussage ist auch, dass ein Konfliktgespräch Konflikttoleranz braucht. Was ist denn Konflikttoleranz?
MAP: Ich würde das nicht alles in einen Topf werfen, was problemlösend meint und Konflikte. Konflikte meinen ja, dass unterschiedliche Sichtweisen, Interessen usw. aufeinandertreffen und die dann irgendwie ausgetragen werden. Im Idealfall konstruktiv, aber im schlimmsten Fall halt schlecht.
Und wenn man in die Zukunft schaut und bestimmte Dinge anfasst, gehen die oftmals nicht so einfach zu lösen, sondern da gibt es immer mehrere Lösungen, die mitunter auch Verluste bringen. Es gibt so zum Teil auch Verlierer – also Leute, die damit quasi keinen Fortschritt in ihrer alten Weise erzielen. Und in dieser Weise ist es praktisch, so etwas wie eine Konflikttoleranz zu bekommen. Also, dass man Spannungen aushält und es eine Fähigkeit gibt, andere Meinungen erst mal soweit zu akzeptieren oder zu tolerieren, dass man damit produktiv umgeht. Und das ist schon eine Leistung. Ich glaube, so was klingt theoretisch immer ganz sinnvoll, aber praktisch im Alltag ist das schwierig zu realisieren.
LS: Bei Konfliktgesprächen stelle ich mir ganz oft vor, es geht um Gespräche zum Thema Gehaltserhöhungen, zum Resümee über geleistete oder nicht-geleistete Arbeit, zum Thema Entlassung, … Sind das typische Konfliktgespräche?
MAP: Das sind jetzt ausgewählte Gespräche, die ich nicht im Blick habe mit Konfliktgesprächen. Ich sehe das eher aus der Sicht einer Organisationsberatung, wo bei der Weiterentwicklung einer Organisation, einer Art der Zusammenarbeit oder einer neuen Art der Zusammenarbeit die Leute natürlich erst mal am Altbewährten festhalten und andere etwas voran drängen und vorantreiben wollen. Und das ist oftmals dann nicht ohne Konflikt ausgehend. Das heißt also die einen verteidigen das Altbewährte und andere wollen das über Bord werfen. Und das kann natürlich auch zu einem heißen Konflikt führen. Dass also Leute sagen „Da mache ich nicht mit!“, aber eigentlich mitmachen müssten. Und so weiter.
Dann habe ich eben das Problem, dass ich mit Konflikttoleranz zumindest überhaupt erstmal in Probierphasen bzw. Erprobungen komme, die weiterführend wären. Es ist eben oftmals so, dass man manches ablehnt und später hat man es mal ausprobiert und merkt, es ist gar nicht so schlimm. Das wäre Alltagsdenken.
Und ähnliches kann man sich auch in einem Unternehmen vorstellen. Dass man sagt, bestimmte Dinge sollten sich nie verändern, müssten sich aber verändern. Was z. B. Verantwortlichkeit vor Ort bedeutet usw. Jeder Mitarbeiter ist froh, wenn er einfach nur seinen Alltag absolviert und dann sollen die anderen die größeren Probleme bewältigen.
LS: Das klingt mir danach, dass Konflikte im Unternehmen so ein bisschen „hausgemacht“ sind. Nun gibt es ja durchaus die Aussage, dass Konflikte unter Umständen auch „Kommunikationspannen“ sind. Ist das so?
MAP: Also als erstes muss man wissen, dass die Menschen unterschiedlich sind, unterschiedliche Interessen haben und unterschiedliche Bedürfnisse realisieren wollen. Und in dieser Weise gibt es immer konfliktäre oder konflikthaltige Situationen. Nun kann man eine Kultur in einem Unternehmen entwickeln, wo solche „konfliktären“ Situationen gut gelöst werden. Da gibt es Werkzeuge und Vorgehensweisen dazu, dass sich das nicht zu einem größeren Konflikt auswächst.
Und dann gibt es natürlich noch Arten von Organisationen, wo solche Konflikte eigentlich im System eingebaut sind. Wenn ich also Abteilungen habe, wo jede Abteilung ihre Interessen vertritt, bedeutet das ja meist, dass sie, wenn sie aufeinanderstoßen, ihre Grenzen so abgleichen müssen, dass jeder was davon hat. Das wäre das normale Denken. Das man sagt „Okay. Ich gebe etwas, du gibst etwas und dann kommen wir gut weiter. Und bekommen vielleicht das Doppelte.“
LS: Also gibt es anscheinend zwei Komponenten. Das eine ist organisationsbasierend, das andere ist typabhängig, Mann oder Frau, Angestellter oder Chef, …
MAP: Es wäre ja sinnvoll, wenn wir jetzt auch in diese Richtung „Prozessberater“ schauen. Das wir einfach weniger in dieser Alltagspsychologie bleiben, sondern eher in der Frage „Was hilft Unternehmen oder Organisationen weiter, sich solchen – ich sag mal verrückten – Änderungen jetzt zu stellen?“ Wo es also auch notwendig ist, dass bestimmte Entscheidungen von Mitarbeitern vor Ort getroffen werden, beispielsweise. Das ist notwendig, um den Kunden schnell zu bedienen, aber solche Konflikte entstehen daraus, dass der Chef ganz andere Entscheidungen getroffen hätte, aber er ist letztendlich nicht verfügbar. Aber die Entscheidung hat getroffen werden müssen, also aus Sicht des Chefs eine falsche Entscheidung, aus Sicht des Mitarbeiters die richtige Entscheidung. Nur ist die Frage „Wer hat Recht?“ oder „Wer darf dann korrigieren bzw. wer muss etwas korrigieren?“ Das sind Dinge, die – man könnte sagen – zum Alltag gehören. Es gibt nichts in dem Sinne von „Das ist das Richtige“ und „Das ist das Falsche“, sondern es gibt eben tausend Lösungen. Eine muss man wählen und manchmal ist die gewählte Lösung dann halt nicht die allerbeste, die man hätte wählen können.
LS: Aber es bringt auch nichts, Konfliktgespräche zu verhindern?
MAP: Es bringt etwas, Konfliktgespräche aufzusuchen, um zu schauen, was darin gerade passiert. Altbekannt sind die Dinge, die man dann mal so unter den Teppich kehrt – das gilt also auch für Organisationen – die dann an anderer Stelle einfach wieder „hochploppen“ und größeren Schaden anrichten. Manchmal muss man sich auch überlegen, dass eben in größeren Organisationen größere Interessensverbände aufeinanderstoßen, wo es also auch um große Geldbeträge geht. Da geht es also auch wirklich um Köpfe am Ende. Da kann man sich vorstellen, dass da „Konflikte konstruktiv bewältigen“ immer sehr nett klingt, im praktischen aber sehr schwierig zu bewältigen ist.
LS: Trotzdem ist es so, dass Konfliktgespräche durchaus etwas Positives sind…
MAP: Ja, na sicher. Und das erst mal auch so zu sehen ist – glaub ich – schwer. Wer hat das gelernt? Ich habe es nicht gelernt! Ich musste mir das schwer später erarbeiten. Aber irgendwo hätte man das vielleicht ja schon mal lernen können, dass wenn unterschiedliche Meinungen oder Interessenskonflikte aufeinandertreffen, man die ja nicht mit Kampf und Totschlag erkämpfen und den anderen zum Verlierer machen muss. Sondern man kann auch schauen, wie das dann besser gelöst werden kann.
LS: Das heißt, man muss es wirklich aktiv trainieren?
MAP: Eine Gewissheit muss ich irgendwann ja haben, zu sagen, ich kann mit solchen Konflikten umgehen. Ich habe also eine Art von innerer Stärke, die mir sagt „Da kann ich ruhig reingehen in so einen Konflikt. Das werde ich überleben.“ Und es gibt auch meistens gute Lösungen. Die meisten haben ja eher so eine Angst vor der Angst. Dass sie sagen, so etwas kann ich nicht anfassen, da kann alles Mögliche passieren. Das Schlimmste wird sich vorgestellt und dann geht man so einen Konflikt nicht an.
LS: Wie konfliktgesprächserprobt bist du selbst?
MAP: Ich konnte manche Konflikte nicht aussitzen oder umgehen, ich musste sie lösen und das bringt dann schon eine gewisse Kompetenz. Ich habe so die Fähigkeit, einerseits beim Menschen immer das Gute, also die Möglichkeiten zu sehen. Das schafft oftmals gute Situationen, um auch jetzt wirklich gute Lösungen zu finden und zum anderen hab ich möglicherweise auch so eine Art von „mich haut so schnell nichts um“. Also ich blühe dann mitunter in Katastrophensituationen eher mal auf, als dass ich dort wegrenne.
LS: Also wir nehmen mit: Konfliktgespräche haben etwas Positives. Man muss sie aktiv angehen und man kann lernen, Konfliktgespräche zu bewältigen.
MAP: Genau, so ist es.
LS: Dann sage ich vielen Dank für das Gespräch.